“Whole School Approach”

Eine starke Schule, Hand in Hand gegen Gewalt mit dem „Whole School Approach“ an der Ursula-Wölfel-Grundschule

„Wir sind im Grunde eine prädestinierte Schule für den ‘Whole School Approach’“, sagt Stephanie Siebert, Rektorin der Ursula-Wölfel-Grundschule in Wiesbaden. Es gebe Zeiten, in denen sich die Fälle von Kindeswohlgefährdung häuften und geschlechtsspezifische Gewalt sei dabei oft das Hauptthema.

Auch bei den Lehrkräften macht sich das Thema bemerkbar. „Die vorpubertären Spannungen zwischen den Geschlechtern führen oft zu Konflikten und es wird schwieriger, das Zusammenleben oder Zusammenspiel von Mädchen und Jungen zu gestalten“, stellt Lehrerin Julia Kaiser fest.

Die Ursula-Wölfel-Grundschule hat sich daher mit dem „Whole School Approach“ (WSA), einem umfassenden und nachhaltigen Ansatz zur Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt verschrieben. Durch den WSA verfolgt die Schule das Ziel, das Menschenrecht auf ein Leben frei von Gewalt, insbesondere die Rechte von Frauen und Kindern, in Bildungseinrichtungen zu verankern. Dieses Konzept wird nicht nur durch die Integration von Bildungsinhalten umgesetzt, sondern auch durch die Stärkung der Beziehungen und Verbindungen zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern, Eltern und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

 

Erfolgreiches Pilotprojekt stärkt Schülerinnen und Schüler im Kampf gegen geschlechtsbasierte Gewalt

Das Pilotprojekt ist eine Ausweitung des Lernparcours „MamMut“ (Mitmachen macht Mut – Gemeinsam gegen Gewalt). Der Lernparcours fördern die Auseinandersetzung mit geschlechtsbasierten Rollenerwartungen und stärkt das Selbstbewusstsein sowie die Handlungskompetenzen der Schülerinnen und Schüler in Bezug auf das Recht auf ein Leben frei von Gewalt. „MamMut“ wurde bereits in mehr als 25 Schulen in Wiesbaden erfolgreich durchgeführt.

Seit die Ursula-Wölfel-Grundschule gegründet wurde, hat sie auch den Lernparcours „MamMut“-durchgeführt, wodurch sich das Thema von Anfang an etabliert hat. “‘MamMut’ hat dazu geführt, dass sich die Kinder mehr geöffnet und sich uns anvertraut haben”, berichtet Konrektorin Anja Krämer. “Und dann sind natürlich auch Situationen daraus entstanden, worauf wir in unserer Ausbildung nicht vorbereitet wurden und dachten, wie sollen wir mit so einer Situation umgehen? Was ist die beste Lösung?”

Deswegen war es ein logischer nächster Schritt, die Einladung zur Teilnahme an dem Pilotprojekt des „Whole School Approach“ anzunehmen, um das Thema umfassender zu bearbeiten. Der WSA bettet „MamMut“ in ein ganzheitliches Konzept ein, welches darauf abzielt, geschlechtsbasierte Gewalt in allen Bereichen der Schule zu adressieren und zu verhindern. Dies umfasst physische, psychische, sexuelle Gewalt sowie strukturelle Gewalt, die durch ungleiche Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern und Generationen entsteht und mittels Geschlechterstereotypen transportiert wird. Der Ansatz basiert auf den Prinzipien der partizipativen Forschung und Bildung für nachhaltige Entwicklung. Zusätzlich trägt die Initiative zur Erreichung internationaler und nationaler Verpflichtungen Deutschlands bei, wie den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG 4 und SDG 5) und der Istanbul-Konvention.

 

Die Ursula-Wölfel-Grundschule als Vorreiterin bei der Umsetzung des „Whole School Approach“

„Wir sind in einem Wohngebiet, in dem Gewalt ein Thema ist, und grundsätzlich ist Gewaltprävention wesentlich an Schulen“, erklärt Rektorin Stephanie Siebert. Daher entwickelte die Schule bereits 2021 ein Konzept zur allgemeinen Gewaltprävention.

Das Thema Gewaltprävention wurde in den Ethik- und Sachunterricht eingebunden, ein Klassenrat und eine Schulordnung ins Leben gerufen, Klassenbetreuung und der KEP&Starter-Club durch die Schulsozialarbeit eingeführt sowie diverse andere Maßnahmen. Der WSA markierte dann den nächsten Schritt, um die Gewaltpräventionsinitiativen zu vertiefen und auszubauen.

Konzeptentwicklung

Im Jahr 2022 startete die Ursula-Wölfel-Grundschule mit der Entwicklung eines maßgeschneiderten Konzepts zur Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt. Die erste Phase umfasste Umfragen unter Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und Eltern, um deren Bedürfnisse und Meinungen zu erfassen. Basierend auf den Ergebnissen dieser Umfragen wurde ein umfassendes Konzept entwickelt und abgestimmt. „Wir haben gespürt, wir können und sollten die Kinder noch viel mehr einbeziehen. Das kam auch durch diese Interviews zutage“, erklärt Konrektorin Anja Krämer.

Umsetzung des „Whole School Approach“

Im Februar 2023 markierte der Planungsworkshop „Starke Schule – Hand in Hand gegen Gewalt“ den Start der Umsetzung. Wie Rektorin Stephanie Siebert zusammenfasst: „Wir haben die Arbeitsergebnisse gesammelt und daraus entstanden auch Wünsche und Notwendigkeiten, wie weiter vorgegangen werden sollte und wie wir die Gewaltprävention in der Schule weiter als Thema behandeln möchten.“

Es folgten Fortbildungen zu Gleichstellung, Genderkompetenz und LGBTQIA+-Themen.

Die Schulsozialarbeit entwickelte interaktive Materialien zur Kindeswohlgefährdung, die in verschiedenen Gremien vorgestellt wurden. Ein Gewaltpräventionsteam aus Lehrkräften und Schulsozialarbeit wurde gegründet, um spezialisierte Ansprechpersonen innerhalb des Kollegiums zu haben. Ein Schutzkonzept zu sexualisierter Gewalt wurde entwickelt und der Lernparcours „MamMut“ wurde erweitert.

Drei besondere Highlights waren die Einführung eines Schülerrates, ein Gewaltpräventionstag und die Zusammenarbeit mit externen Partnerinnen und Partnern.

Schülerrat und Vertrauenslehrkräfte

Um die Beteiligung der Schülerinnen und Schüler zu fördern, gibt es seit März 2024 einen Schülerrat. Dieser Rat besteht aus den Klassensprecherinnen und Klassensprechern der Jahrgänge 2 bis 4 und trifft sich monatlich, um die Anliegen und Ideen der Kinder zu diskutieren und in die Schulentwicklung einzubringen. Zudem wurden drei Vertrauenslehrkräfte gewählt, um die Mitbestimmung und Verantwortung der Schülerinnen und Schüler zu unterstützen und als Ansprechpersonen für sie dazu sein.

Gewaltpräventionstag

Der Gewaltpräventionstag findet jährlich am oder um den 24. November statt, dem Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. An diesem Tag werden verschiedene Workshops und Aktivitäten angeboten, die sich mit den Themen Gewaltprävention, Geschlechtergerechtigkeit und gewaltfreie Kommunikation auseinandersetzen. Die Themen und Aktivitäten werden im Vorfeld von den Lehrkräften und Kindern gemeinsam geplant und vorbereitet. Lehrerin Julia Kaiser sagt: „Ich finde das auf jeden Fall ein wichtiges Thema und es ist toll, dass wir so einen Tag veranstalten.“

Zusammenarbeit mit externen Institutionen

Der Erfolg des „Whole School Approach“ hängt maßgeblich von der Zusammenarbeit mit externen Partnern ab. Die Schule arbeitet eng mit dem Amt für Soziale Arbeit, der Hochschule RheinMain sowie verschiedenen Beratungsstellen, der Kinder- und Jugendhilfe, der Polizei und dem Jugendamt zusammen. Die Schule nimmt auch teil an dem GuD-Projekt (Gewaltprävention und Demokratielernen vom Hessischen Ministerium für Kultus, Bildung und Chancen), welches ein großes Fort- und Weiterbildungsangebot für das Kollegium bietet.

Diese Kooperationen ermöglichen es, ein umfassendes Unterstützungsnetzwerk aufzubauen und die Präventionsarbeit nachhaltig zu gestalten. “Der ‘Whole School Approach’ hat diesen Anstoß gegeben, die Motivation, dass außerschulische Institutionen mit ins Boot geholt werden“, unterstreicht Rektorin Stephanie Siebert.

 

Schritt für Schritt zu mehr Sicherheit

Bereits in der Pilotphase hat der WSA somit viele Erfolge zu verzeichnen. Die Schülerinnen und Schüler zeigen sich offen und bereit, sich mit den Themen Gewaltprävention und Geschlechtergerechtigkeit auseinanderzusetzen und die Einbindung in den Schülerrat sowie die Wahl der Vertrauenslehrkräfte haben die Beteiligung und das Verantwortungsbewusstsein der Kinder zusätzlich gestärkt.

Für Rektorin Stephanie Siebert gibt es zwei wesentliche Punkte. Zum einen die Partizipation, vom Einbeziehen des Kollegiums und der Kinder bis hin zu der Öffentlichkeit durch Beratungsstellen, dem Jugendamt und die Polizei, zum anderen die Ganzheitlichkeit: “Diese umfassenden Aktivitäten und Maßnahmen, also diese Ganzheitlichkeit wurde durch den ‘Whole School Approach’ angestoßen. Dadurch wurden wir noch aktiver und es haben sich immer mehr neue Projekte ergeben“, fasst sie zusammen.

Die Umsetzung des „Whole School Approach“ bringt aber auch zahlreiche Herausforderungen mit sich:

Einbindung der Eltern

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Unterstützung und Einbindung der Elternschaft. Trotz der guten Resonanz auf Elternabenden und Informationsveranstaltungen ist es oft schwierig, alle Eltern zu erreichen und deren aktive Mitarbeit zu gewinnen. Die Schule arbeitet kontinuierlich daran, die Kommunikationswege zu verbessern und die Eltern stärker in die Präventionsarbeit einzubeziehen. „ Wir wünschen uns von den Projektverantwortlichen eine Aufklärung der Eltern über Ausmaße und Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt”, betont Rektorin Stephanie Siebert.

Einbinden des Themas „Geschlechtsspezifische Gewalt“ in mehr Unterrichtsfächer

“Die Teilnahme am MamMut-Projekt hat mich für das Thema „Geschlechtsspezifische Gewalt“ sensibilisiert. Gerade was die „Kindeswohlgefährdung“ betrifft, hat es mich gewundert, wie viele Aspekte hierzu gehören. Wir sind, denke ich, alle auf einem guten Weg, um in diesem Bereich präventiv noch aktiver zu sein als wir es ohnehin schon waren”, berichtet Konrektorin Anja Krämer. Aber: “Das ist trotzdem noch ein großes Feld und es gibt sicherlich noch einiges zu tun”, fügt sie hinzu.

Ein geplanter nächster Schritt ist die Einbindung des Themas “Geschlechtsspezifische Gewalt” in verschiedene Unterrichtsfächer. Bisher wird das Thema nur im Sach- und Ethikunterricht behandelt. “Das Thema kann in alle Lernbereiche einfließen und es gibt sicherlich genug Anlässe, um darüber zu reden bzw. dafür zu sensibilisieren”, findet Rektorin Stephanie Siebert.

 

Eine langfristige Vision im Kampf gegen „Geschlechtsspezifische Gewalt“

Der „Whole School Approach“ an der Ursula-Wölfel-Grundschule zeigt, wie wichtig und effektiv ein ganzheitlicher Ansatz zur Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt sein kann. Durch die Einbindung aller Mitglieder der Schulgemeinschaft und die Zusammenarbeit mit externen Institutionen wird ein umfassendes und nachhaltiges Konzept umgesetzt, das zur Verbesserung des Schulklimas und zur Förderung der Gleichberechtigung beiträgt.

Die bisherigen Maßnahmen haben bereits positive Veränderungen bewirkt. “Durch den ‘Whole School Approach’, haben sich jetzt ganz viele neue Projekte entwickelt, die wir jetzt zum Teil schon fest etabliert haben oder zukünftig noch angehen wollen”, sagt Rektorin Stephanie Siebert.

Langfristig möchte die Schule eine noch stärkere Gemeinschaft bilden, die Hand in Hand gegen Gewalt vorgeht. Dazu gehören regelmäßige Evaluierungen und Anpassungen der Maßnahmen, um sicherzustellen, dass sie effektiv und relevant für die Bedürfnisse der Schulgemeinschaft bleiben sowie den Austausch mit einer anderen Schule, die das Konzept ebenfalls eingeführt hat.

Rektorin Stephanie Siebert fasst zusammen: „Unser Ziel bleibt, die Gewaltprävention, insbesondere die geschlechtsspezifische Gewalt, im Fokus zu haben, die Kinder zu unterstützen und die Gemeinschaft zu stärken, zu sensibilisieren, aufzuklären und das Thema zu enttabuisieren“.

Die Ursula-Wölfel-Grundschule bleibt somit ein Vorbild im Engagement für ein Leben frei von Gewalt und ein starkes Zeichen für die Bedeutung von Bildung und Prävention im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

(geschrieben von Frau Brendel und Frau Siebert)